Konstantin Khabensky ist ein Superstar des russischen Kinos. Jetzt hat er einen Film über das KZ Sobibor gedreht. Ein Gespräch über letzte Tabus und die Singularität des Holocaust.
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Konstantin Khabensky ist für Russland, was Tom Hanks für Amerika war: der populärste Schauspieler der vergangenen beiden Jahrzehnte, gleichermaßen daheim in romantischen Komödien, ernsten Dramen und Science-Fiction-Spektakeln wie „Night Watch“ und „Day Watch“. Nun hat der 47-Jährige seinen ersten Film inszeniert, und der handelt ausgerechnet von Sobibor, dem deutschen Vernichtungslager. Der Film ist jetzt bei uns auf DVD und Bluray erschienen.
WELT: Dies ist Ihre erste Filmregie. Warum ausgerechnet über ein so schwieriges Thema?
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Konstantin Khabensky: Weil das Thema Sobibor im Kino merkwürdigerweise kaum vorkommt, weder in Russland, noch international. Und ich dachte, dass ich einen Blickwinkel auf die Geschichte habe, den es vorher noch nicht gegeben hat.
WELT: Meinen Sie Ihren russischen Helden Alexander Petschersky? In den meisten russischen Filmen über den Zweiten Weltkrieg gibt es mindestens eine heroische sowjetische Person.
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Khabensky: Ich habe immer versucht, dieses Klischee-Heldentum zu vermeiden. Auch meine Figur in „Day Watch“ und „Night Watch“ ist kein klassischer Held, er wird durch die Umstände dazu gezwungen. Nein, das wäre zu sehr ein Klischee, dass die wichtigste Figur auch der Held sein muss. Es geht mir um die Menschen, die von all überall aus Europa dort zusammenkamen, mit vielen unterschiedlichen Wesensarten. Deshalb werden in meinem Film fünf Sprachen gesprochen. Die einzige Sprache, die sie verbindet, ist das Jiddische. Und die wirkliche Hauptfigur des Films ist das Todeslager selbst.
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WELT: Der Film sieht so aus, als hätten Sie das ganze Lager nachgebaut.
Khabensky: Natürlich haben wir es nachgebaut, auf der Grundlage des Lagers, das existiert hat. Es ist ein Film.
WELT: Ihr Lager sieht beinahe zu neu aus, zu ungebraucht, zu sauber. Wir sind von KZ-Filmen Dreck, Provisorien, Schäbigkeit gewohnt.
Khabensky: Das ist eine Frage des Geschmacks. Glauben Sie, die Deutschen hätten erlaubt, dass es wie in einem Schweinestall aussieht? Die haben schon für Ordnung gesorgt.
WELT: Sobibor wurde noch von den Deutschen dem Erdboden gleichgemacht, andere KZs sind erhalten geblieben. Doch für die meisten Menschen sind inzwischen Filme der Bezugspunkt, und Film-KZs sind üblicherweise die Hölle.
Khabensky: Was wir zeigen, ist ein Ort, an dem gearbeitet wird. Menschen leben und arbeiten dort. Der Todesteil des Lagers liegt hinter Mauer und Zaun, dort geht der Film nur einmal hin. Ich wollte meinen Fokus nicht auf Schmutz und Schlamm und Tod legen, ich wollte diesen Ort mit Menschen bevölkern.
WELT: Andererseits arbeiten Sie die tägliche Grausamkeit und den herrschenden Sadismus stark heraus.
Khabensky: Gemessen an dem, was überliefert ist, halte ich meine Darstellung noch für unterspielt.
WELT: Es gibt eine Szene, die ich noch nie in einem Holocaust-Film gesehen habe: das SS-Besäufnis, bei dem Gefangene vor Karren gespannt und wie Pferde in einem Rennen gepeitscht werden.
Khabensky: Es ist eine Art Kulmination des Horrors. Ich habe die Szene auch mythologisch aufgeladen, mit Anklängen an Herren und Slaven im alten Rom und den Übergang in den Hades bei den alten Griechen; meine Rolle hat auch Anflüge von Spartakus. Ich wollte das Geschehen in Sobibor transzendieren, in ein allgemein menschliches Drama.
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WELT: Nun sind viele Menschen im Westen der Überzeugung, der Holocaust sei ein singuläres Ereignis, ohne Parallele in der Menschheitsgeschichte. Was ist Ihre Meinung?
Khabensky: Vielleicht sollten die Deutschen die Menschheitsgeschichte etwas genauer studieren. Was ist mit dem Völkermord an den Armeniern? Gehen wir weiter in der Geschichte zurück. Was ist mit der Heiligen Inquisition? Genozide sind eine Plage, die in gewissen Abständen unseren Planeten heimsuchen. Dieses Abschlachten ist wie ein Virus, und man muss versuchen, sich dagegen zu schützen, indem man sich erinnert.
WELT: Gehört auch der sowjetische Gulag zu den Genoziden?
Khabensky: Der Gulag ist kein Völkermord, sondern ein Vorgang von Staatsterrorismus gegen das eigene Volk.
WELT: Was gezeigt wird, ist eine Frage des Geschmacks, sagen Sie. Ich kenne nur einen einzigen Film im Korpus des Holocaust-Films, in dem die Kamera mit den Opfern in die Duschen geht, und das ist ein deutscher Exploitationsfilm, „Auschwitz“ von Uwe Boll. Nun gibt es einen zweiten.
Khabensky: Es ist die Regel des Spiels mit dem Publikum. Das Publikum glaubt nicht, was in den „Duschen“ wirklich geschieht, bis man es ihm zeigt. Es stopft Popcorn in sich hinein und glaubt es nicht.
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WELT: Aber all die anderen Filme, inklusive „Schindlers Liste“, haben an den Türen der Gaskammern haltgemacht. Diese Filme haben vorausgesetzt, dass die Zuschauer wissen würden, was dahinter geschah. Muss man es ihnen wirklich sagen, wirklich zeigen?
Khabensky: Es war mir wichtig, dieser einen Figur bis zum Ende zu folgen, dieser schönen und lebenslustigen Frau. Es war auch notwendig wegen ihres Ehemanns, der von ihr getrennt wird und im Arbeitslager darauf hofft, sie wiederzusehen, bis er den Beweis für ihren Tod findet und den Verstand verliert.
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WELT: Es gibt in Deutschland und Amerika Holocaust-Leugner, die behaupten, die Gaskammern habe es nie gegeben. Gibt es die auch in Russland?
Khabensky: Die gibt es. Und es gibt dort auch Menschen, die glauben, dass es den Gulag nie gegeben habe. Es gibt immer Leute, die die schrecklichen Dinge über ihr Land nicht wissen wollen.
WELT: Warum gibt es so wenige Filme über Sobibor? Und warum so wenig russische Filme über Konzentrationslager?
Khabensky: Das war genau die Frage, die ich mir gestellt habe, als ich diesen Film gedreht habe. Ich glaube, dass Produzenten vor diesem Thema zurückschrecken, weil es ihnen als kommerzielle Sackgasse erscheint.
WELT: Ich habe gelesen, „Sobibor“ sei ein Lieblingsprojekt des russischen Kulturministers.
Khabensky: Ja, wir sind vom Kulturministerium unterstützt worden. Man könnte aber auch sagen, dass die Unterstützung größer hätte sein können.